Warum ich Führung brauchte...

Ich habe vor Kurzem das #Richtige gemacht. Hätte beinahe nicht geklappt.
Doch dann war da diese #Führungskraft.


Der U-Bahnhof in München ist relativ leer, als ich meinen Koffer von der Rolltreppe Richtung Gleise rolle. Nicht ungewöhnlich für eine Endhaltestelle, und so bin ich noch in Gedanken, als ich in die U1 einsteige, die zeitgleich mit mir am Bahnsteig ankommt.

Etwas irritiert mich.
Denn da sitzt ein Fahrgast, der längst hätte aussteigen sollen. Der mit der U1 diese Runde zwischen End- und Starthaltestelle gedreht hat, die sonst nur dem Zugführer vorbehalten ist.

Mir ist nun vorbehalten, mit ihm allein zu sein, mit dem älteren Mann in der schmutzigen Jacke, der sich mit geschlossenen Augen an die verklebte Fensterscheibe lehnt, seine Hände auf der Hose, die ihm bereits von der Hüfte gerutscht ist. Er scheint weggetreten zu sein, und ich würde das am Liebsten auch tun.

Wegtreten, wegschauen. 🙈🙊🙉

Und doch spreche ich ihn an. Ob er etwas braucht, ob ich etwas tun kann.
Es dauert, bis er mich wahrnimmt, bis er nach Worten sucht, bis er zurück von einem Ort ist, den er vielleicht nicht mehr verlassen wollte. Ich hingegen will immer noch weg, will seine Antworten nicht wirklich hören, da sie meinen Plänen zu viele Fragen in den Weg stellen werden.

“Wo wollen Sie hin?”
Diese Frage kommt nicht von mir, sondern von ihr. Von der Frau, die bei uns Platz genommen und sich dabei unmerklich an meine Seite gestellt hat. Eine Frau, die in den nächsten Minuten in den Lead gehen wird.
💪 Sie lässt sich seinen Ausweis zeigen, bekommt eine Wohnadresse raus und bringt ihn dazu, mit uns auszusteigen.
💪 Und als dabei seine Hose bis zu den Kniekehlen rutscht, zieht sie sie beherzt nach oben, verweist schmunzelnd auf die Münchner Polizei und schließt die Gürtelschnalle - ungeachtet der gehässigen Kommentare eines Fahrgasts.
💪 Sie greift ihn unter, gibt ihm Halt, gibt ihm Haltung.

Dann blickt er uns an. Er möchte jetzt Tee, sagt er. Mit Milch. In seiner Wohnung.

Das ist der Moment, in dem ich aufhöre, mich mit mir zu beschäftigen, und endlich da sein kann. Ich halte mit fest, fasse mit an und den Entschluss, ihn nach Hause zu bringen. Zu dritt schaffen wir es aus der U-Bahn, über die 4-spurige Straße zum Taxistand, wo ich mich von der Frau aus der U1 verabschiede.

💪 Ich komme jetzt klar, sage ich.
💪 Melde Dich, wenn Du noch was brauchst, sagt sie. Und: Ich bin Ina.

Doch ich habe alles von ihr bekommen, was ich brauche. Wir sitzen nun im Taxi und reden. Über Kaffee, Tee und seine Heimat Ukraine. Über die Deutsche und die Englische Sprache. Über seine Tochter, die da sein wird, wenn er heimkommt.
Simon, so heißt er, kommt eine Stunde nach unserem Kennenlernen heim. Sein Schwiegersohn nimmt uns in Empfang und weiß nicht, was er sagen soll.
Simon weiß es. “Danke Stefanie, dass Du da warst.”

🙏🏻 Danke Ina, dass Du da warst, denke ich, als ich Simon umarme.
🙏🏻 Danke, dass Du in Führung gegangen bist, als ich noch nicht so weit war.

Stefanie Koch