"Häh?"

„Häh?“

Merle, die Tochter einer Freundin, sitzt an meinem Esstisch, als sie gerade den Bewerber-Online-Test für eine Ausbildung im Bereich Marketing macht, Textilbranche. Es ist ein Persönlichkeitstest, und ich sitze als Psychologin nur stumm-interessiert daneben, will für Verständnisfragen da sein, weil es ihr erster Test ist. Doch als die ersten Fragen auf dem Screen sichtbar werden, kriegen wir Beide den Mund hörbar nicht mehr zu.

"Schätzen Sie sich selbst auf einer Skala von 1-7 ein:"

😮 "Wer mich ungerecht behandelt, bekommt es prompt heimgezahlt."

😮 "Wenn Kollegen oder Vorgesetzte besonders freundlich sind, sollte man besser auf der Hut sein."

😮 "Manchmal grübele ich darüber nach, ob Schulkameraden es ehrlich mit mir meinen."

😮 "Ich gebe Kollegen manchmal gegenüber vor, mehr zu wissen, als dies tatsächlich der Fall ist."

😮 "Es würde mir gefallen, Kontrolle über meine Kollegen auszuüben."

Merle ist so verwirrt. Ich kann ihr nichtmal irgendeinen Tipp geben, was ich an ihrer Stelle damit machen würde. Vermutlich durchgängig 'ne 7 einloggen. Allein schon, um mir den Gesichtsausdruck der Person vorzustellen, die meine Ergebnisse auswerten muss.

Aber ehrlich!
🤦‍♀️ Was testen diese Frage denn, außer Merles Leidensfähigkeit und Geduld? 
🤦‍♀️ Welche Erkenntnisse kann Merle denn aus diesen Fragen ziehen, außer (k)eine Psychopathin zu sein?
🤦‍♀️ Was transportiert der Arbeitgeber damit, außer einen Hilfeschrei aus HR für ein neues Rekrutingtool?

So viele Fragen. Eigentlich alles nur meine.

Merle ist schon weiter. Sie klickt sich noch genervt durch die restlichen 64 Aussagen, schickt dann ihre Ergebnisse ab, klappt Ihr Tablet zu, und steht auf. 
„Das passt glaube ich nicht. Ich suche weiter. “

So schnell wurde aus dem „Häh“ ein „Nee“.
So schnell wird aus Vorfreude ein Vorurteil.

Denn Merle hat noch vor dem ersten Gespräch innerlich gekündigt. Die Kostprobe der vermeintlichen Unternehmenskultur war zu bitter, das vermeintliche Menschenbild hinter diesem Tool zu kaputt.

🤔 Manchmal grübele ich darüber nach, ob es Unternehmen ehrlich mit ihren Bewerbern meinen.

#Unternehmenskultur #hr #marketing #employerbranding

Stefanie Koch